Weihnachtsträumerei

Wenn ich jetzt die weihnachtlichen Lichter auf den Straßen sehe und an dem Café vorbeigehe, in dem meine Geschichte „Cafékalender“ spielt, glaube ich manchmal, Paul Kiewitz dort sitzen zu sehen. Ob er immer noch mit der Kellnerin Christina als Komplizin heimlich den traurigsten Gästen eine Adventsüberraschung zukommen lässt?
Ich wünsche mir dann, ich könnte mich wirklich mit den Menschen aus meinen Geschichten dort an einem Tisch treffen und hören, wie es ihnen geht. Herausfinden, wie sie miteinander auskommen – schließlich leben sie alle in einem Buch („Die Füße der Sterne“) zusammen. (Naja, fast alle, denn Paul und Christina sind aus „Der Weihnachtswind„). Irgendwie vermisse ich sie, schließlich habe ich sie erfunden. Aber ihre Geschichten sind längst fertig, und ich muss mich am Ende jeder Geschichte von ihnen verabschieden.
Wie es wohl Viktor geht – ob er inzwischen ein Zuhause gefunden hat? Ist die junge Journalistin Karla März befördert worden, nachdem ihr trotz des störrischen Forschers mit dem unmöglichen Benehmen dieser tolle Artikel gelungen ist? Und was ist mit Theo Knoll, diesem Pedanten, der sich so verändert hat – ist er jetzt mit der Biologielehrerin zusammen? Ich sehe ihn vor mir, wie er ihr einen dampfenden Tee eingießt. Karla trinkt natürlich lieber Cappuccino. Paul tuschelt da drüben mit Christina, die hecken ganz sicher schon wieder etwas aus.
Frank kann ich hier nicht treffen, der ist ja leider verstorben, nachdem er sich seinen verrückten Traum erfüllt hat. Ja, aber die resolute Frau da drüben, das könnte Regina sein, die für die Kollegen vom Flughafen ein mehr oder weniger verdächtiges Weihnachtsgeschenk sucht. Und im Gemüseladen, die Frau, die die Äpfel in die Tüte packt – ist das Reni, und spielt sie immer noch morgens im Park mit der dreiundneunzigjährigen Lene verstecken?
Das Pärchen dort, das Hand in Hand an dem Stand mit den Kerzen stehen bleibt, so habe ich mir Rainer und Viktoria vorgestellt, für die Robin damals die Sterne durcheinander gebracht hat. Ob er wohl doch noch dafür gefeuert wurde?
Gern würde ich sie alle auf ein Crépe einladen oder eine Bratwurst. Aber stattdessen werde ich wohl nie erfahren, was aus ihnen geworden ist. Und ob Menschen das Buch kaufen und Karla, Theo und die anderen auf diese Weise für einen Lesemoment in ihr eigenes Leben einladen. Das wünsche ich mir – denn jedes Mal, wenn eine der Geschichten gelesen wird, werden Karla, Theo, Reni und die anderen ein klein wenig wahr und lebendig. Das wäre schön, denn sie alle zeigen, wie es ist, ein ganz normaler Mensch zu sein und doch immer Hoffnung in sich zu tragen oder wiederzufinden. Sie passen, obwohl es sich um Geschichten für das ganze Jahr handelt, in diese dunkle und doch helle Zeit, in die Weihnachtstage, denn sie haben erfahren, warum sich das Leben lohnt, und wissen davon zu erzählen, ganz einfach indem sie sind, wie sie sind.

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Ein Geschenk für Großeltern, Tanten und Nachbarn

Ich möchte hier einmal ganz ehrlich Werbung für mein Buch machen. Ich glaube, das darf ich mit gutem Gewissen, denn ich habe in letzter Zeit von so vielen, vor allem älteren Leuten gehört, was für eine Freude sie mit meinen Geschichten aus „Die Füße der Sterne“ hatten. Das geht übrigens auch aus der Rezension einer Amazon-Leserin hervor, die man auf der Bestellseite dort findet.
Es ist nicht ausdrücklich ein Buch für ältere Leser. Es sind Geschichten für alle darin. Aber sie haben eine angenehme Länge und eine angenehme Schriftgröße für ältere Augen, und sie erzählen zum Teil auch von Älteren. Es sind realistische und trotzdem heitere und zuversichtliche Geschichten. „Sie haben mich bestens unterhalten und außerdem getröstet“, habe ich oft gehört. Eine schönere Antwort kann ich mir nicht wünschen.
Deshalb: Wer ein Geschenk für seine Großeltern, Tante oder einsame Nachbarin sucht, könnte es einmal mit diesem Buch versuchen. Ich glaube nicht, dass der oder die Beschenkte enttäuscht sein wird. In dieses Buch habe ich alles gesteckt, was ich am Leben und den Menschen so groß und wundersam finde. Und, wie jemand neulich sagte, es kostet wirklich nicht viel mehr als ein Blumenstrauß, hält aber viel länger.

Kurzgeschichten

Hier ein paar Leseproben aus einigen Geschichten, die vom Alter handeln:
Aus: „Zitronenluft“:

„…An die Hauswand lehnte sich eine Art Gewächshaus, eher ein Schuppen, und von dort kamen die Geräusche. Die Tür war angelehnt. Ella stapfte in ihren Gummistiefeln hin und klopfte. „Brauchen Sie Hilfe?“
„Jawohl bitte“, kam eine Basstimme von drinnen.
Ella stieß die Tür auf und fiel fast über ein paar große nackte Füße. Zu den Füßen gehörte ein ziemlich stattlicher Mann, der auf dem Rücken lag, offensichtlich umgeworfen und festgeklemmt von einem Baum in einem blauen Kübel.
„Huch“, sagte Ella.
„Mein Name ist Herr Rossmonith“, sagte der Mann, als sei „Herr“ sein Vorname, und lachte sie an. Seine Lage schien ihn nicht weiter verlegen zu machen. „Was für ein Glück, dass Sie vorbeikamen. Es ist vielleicht ein bisschen viel verlangt, aber könnten Sie mir wohl helfen? Wenn Sie es schaffen, den Baum wieder aufzurichten, komme ich auch allein wieder auf die Beine.“
„Berger“, stellte sich Ella vor und umfasste den Baum mit beiden Händen nahe der Krone. Der Stamm war ungefähr so dick wie eine Banane. Sehr schwer konnte die Pflanze nicht sein.
„Halt!“ rief Herr Rossmonith. „So bricht er ab! Versuchen Sie bitte, einfach den Kübel aufzurichten.“ Er lächelte entschuldigend. „Wissen Sie, Frau Berger, das ist nämlich mein Lieblingsbaum.“
Ella bückte sich und umklammerte den schweren Steinguttopf. Erst rührte sich nichts, dann rollte er ein wenig zur Seite und stach Herrn Rossmonith einen kleinen Zweig ins Nasenloch.
„Versuchen Sie es noch einmal“, bat er. „Ich bin überzeugt, Sie schaffen das. Wenn nicht, würde ich Sie bitten, auf der Straße Hilfe zu holen.“
Jetzt war Ellas Ehrgeiz geweckt. Sie sammelte alle Kraft und hob den Rand des Topfes an, zog ihn zu sich hin. Für einen Moment drohte er, nun auf sie zu kippen, doch dann zwang sie ihn in eine aufrechte Stellung. Der Baumwipfel rauschte hoch, erzitterte und blieb dann überraschend so stehen, dass Ellas Gesicht mitten darin steckte. „Mmmmh“, sagte Ella. Sie rührte sich nicht, sondern schloss nur die Augen. „Was duftet denn so himmlisch?“
„Darum handelt es sich ja um meinen Lieblingsbaum“, sagte Herr Rossmonith und kam ächzend auf die Beine. „Ich habe noch zwei davon, aber dies ist der Erste und Schönste. Es sind Zitronenbäume, und was da so paradiesisch duftet, sind seine Blüten.“
Ella machte die Augen wieder auf. Sie sah ein Büschel porzellanweißer schlichter Blüten mit fünf schmalen Blütenblättern, die sich wie ein Stern um einen Stempel und Staubgefäße öffneten. „Darum riechen sie so wunderbar gelb“, sagte sie und kam sich im gleichen Augenblick albern vor.
Doch Herr Rossmonith war begeistert. „Ja, nicht wahr? Finden Sie auch, dass Gerüche eine Farbe haben? Es gibt zum Beispiel unheimlich viele verschiedene grüne Gerüche. Blaue auch. Übrigens vielen Dank für die Rettung. Aber, aber, was ist denn?“ Er fasste sie am Arm. „Sie sind ja ganz weiß. Und Sie schnaufen so. Kommen Sie nach draußen, setzen Sie sich, bitte.“ Rasch zog er sie an die frische Luft und schob sie besorgt in einen Korbstuhl. „Warten Sie, ich hole Ihnen ein Glas Wasser.“
Er war ein paar Minuten verschwunden. Ella schloss erneut die Augen und konzentrierte sich auf ihren Atem. Sie glaubte noch, den reinen, süßen Duft der Zitronenblüten in der Nase zu haben, und sie stellte sich vor, wie er in ihre Lungen strömte und sich dort mit seinem hellen, leichten Gelb ausbreitete und sie füllte, füllte wie einen Luftballon.
Der Arzt hatte ihr gesagt, diese Vorstellung könne ihr helfen, aber gerade gelang ihr das zum ersten Mal. Von Duft hatte er nichts erzählt, von Zitronen schon gar nichts, nur von einem Luftballon, aber sie hatte sich nie entscheiden können, welche Farbe der haben sollte.
Nun war er also gelb….“

Aus: „Das Bernsteinschiff“:
„…Ich bin auf Kurs, Wetter-Willi“, sagte sie vom Sofa her zu der Figur auf der Anzeige der Funkwetterstation, die ihr Enkel Jannik ihr geschenkt hatte. Die Station klärte Lina, auch wenn ihr Atem und ihre Schritte nicht mehr vor die Tür reichten, nicht nur über die Lufttemperatur, sondern auch über Windstärke und Regenmengen auf. Wetter-Willi zeigte außerdem durch seine Garderobe an, was sie zu tragen hätte, wenn sie draußen im Tag wäre: Schal, Mütze und Pullover oder kurze Hosen und Sonnenbrille. Heute schwenkte er einen geschlossenen Regenschirm.
Nicht weil sie wunderlich geworden war sprach Lina mit ihm, sondern weil er immer da war und weil er ein Lächeln für sie hatte, und weil Worte sich zu krümmen beginnen, wenn man sie an niemanden richten kann.
Doch öfter als auf Wetter-Willi ruhten ihre Augen auf dem Bild über ihm an der Wand. Dem Bild, das Niklas vor zweiundsechzig Jahren von einem Straßenhändler gekauft hatte, nachdem es ihm gelungen war, mit Hilfe seines frühlingshaften Charmes den Preis unverschämt herunterzuhandeln.
Es war ein brennend klarer Septembertag gewesen, durch den in frechen Wirbeln eine frische Brise zischte, und sie verbrachten ihn von morgens bis abends am Hafen, lehnten sich gegen den Leuchtturm und alberten herum, dass dieser im Wind bestimmt nur durch die einige Kraft ihrer beiden Rücken aufrecht blieb. Ihre Blicke reisten neugierig mit sämtlichen vorbeifahrenden Schiffen, und sie versuchten voll glücklichen Übermuts die Blauschattierungen in der Weite zu zählen. Sehnsucht kam nicht auf, denn sie hielten sich bei der Hand und die Welt war groß und nahe genug. Erst als der Abend eine Gänsehaut bekam und die Sonne hinter den Horizont kippte, und sie Krabbenbrötchen kauend durch die dunkelnden Möwenschreie landeinwärts gingen, entdeckten sie das Bild. Es lehnte mit anderen an einem Steg wie eine Nebensache.
Niklas sah sofort, dass dieses eine sich deutlich vom grelltintigen Kitsch der anderen abhob. Das Motiv war keineswegs ungewöhnlich, es zeigte nur ein Segelschiff auf Wellen, einen Dreimaster. Doch dieses Schiff fuhr und atmete, und die Wellen lebten, und die Farben kamen direkt aus der Wirklichkeit dieses goldenen Abends…“

Aus: „Der Morgen von Gestern“:

„…Selten begegnete ihr um diese Zeit jemand auf der Straße. Erst am Bahnhof fanden sich sonst andere verschlafene Gesichter ein. Darum fiel ihr die kleine Gestalt schon von weitem auf. Schmal stand sie an der Ampel, ging dann ein paar Schritte zurück und sah sich ratlos um, die Arme verschränkt, als wollte sie sich darin einwickeln. Lange Haare bewegten sich im kühlen Wind ungekämmt um ihre Schultern. Reni schätzte sie auf etwa zwölf Jahre. Doch als sie näher kam, bemerkte sie, dass hier etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Das Kind war barfuss in Pantoffeln und trug ein leichtes rosa Nachthemd mit weißer Spitze am Kragen.
„Hallo! Kann ich dir helfen?“ sprach Reni sie vorsichtig an.
Die Gestalt drehte sich rasch zu ihr um. Reni atmete scharf ein. Vor ihr stand kein Mädchen, sondern eine sehr, sehr alte Frau mit wachen, kindlichen Augen. Zart wie geträumt, aber kerzengerade. Sie zitterte vor Kälte. Reni zog hastig ihren Anorak aus und legte ihn ihr um die Schultern. Die jungen Augen sahen sie staunend und vertrauensvoll an.
„Was ist passiert? Haben Sie sich verlaufen?“
„Der Rolf hat doch gepfiffen!“
„Wo wohnen Sie denn?“ fragte Reni sanft.
„In dem großen Haus mit dem Baum. Mein großer Bruder hat gepfiffen, ich soll zum Spielen runterkommen.“ Sie rieb die Ärmel von Renis Anorak zwischen Daumen und Zeigefinger. „Wir spielen oft morgens Verstecken. Ich bin aus dem Fenster geklettert und habe mich hinter die Regentonne gehockt. Aber der Rolf hat mich nicht gesehen, und dann habe ich das Haus nicht mehr gefunden…“

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