Frühe Minusgrade (Gedicht)

Frühe Minusgrade
(c) Patricia Koelle

In atemlos erstaunter Stille lief
heut erster Frost durch überraschte Nacht
und hat eiskalt die späte schwüle Pracht
der Dahlien angezählt. Sie hängen tief.

Aus zitternd goldnem Licht gebaut
erschien uns gestern noch die Stadt
bis Winterahnung sie erschüttert hat.
Die Blätter fallen, fallen ohne Laut

und Erde trägt nun flüchtiges Gewand
das, in der Geisterstunde weich gestürzt,
bunt wärmend unser tiefes Schauern kürzt:
noch hält das Leuchten trotzig stand.

Die wilden Gänse schwatzen, treiben
sich plötzlich eiliger nach Süden
eh sie im Morgen doch ermüden.
Sich fremd gewordne Schwäne bleiben.

Nur für die Stunde des Erwachens
trägt dunkles Wasser zarte Haut –
malt Brüche, Falten, gluckert, taut
als Echo eines Sommerlachens.

Die letzten Mücken tanzen aufgewühlt
wo rau auf schreckerstarrten Gräsern klebt
der Glanz des Reifs, der unsre Sehnsucht hebt,
hell dekoriert und sanft verhüllt – und kühlt.

Septemberpfützen-Schimmer (Gedicht)

Der Text von vorgestern rollte sich nachts in meinem Traum zu einem Gedicht zusammen. Das Gedicht wuselte den Tag über wie ein aufgeschrecktes Eichhörnchen in meinem Kopf herum weil einige Zeilen metrisch nicht funktionieren wollen. Erst durch die schnelle, kundige und großzügigige Hilfe meiner geduldigen Lehrmeisterin Claudia Sperlich erhielt es Schliff.
Claudia Sperlich wuchs dichtend auf. Von ihr und ihrem Vater sind gerade zwei wunderschöne Gedichtbände erschienen:
Martin Sperlich – Im Verse wird das Schwere leicht
Claudia Sperlich – Mit Deinen Flügeln will ich fliegen
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Besuch im Herbst
(c) Patricia Koelle

Erinnerung legt unsichtbare Bilder
uns flüchtig auf die herbstlich kühlen Gleise
ich kenne deinen Schritt schon aus der Ferne
du trittst für alles ein auf deine Weise

Du hebst die Welt mir heut noch aus den Angeln –
mit deinem Lachen konntest du das immer –
hängst sie mir bunter, größer, wieder auf
gespiegelt im Septemberpfützen-Schimmer.

Der Friedhof drüben ist ein stummer Zeuge:
dort wachen steinern unvergänglich Raben
Jahrzehnte über Leben und Geschichten
die sie uns ungeniert im Voraus haben.

Ein Krokus keimt darunter schon den Frühling
Gewesenes erscheint mir wie geträumt
doch deine Stimme ist so tief vertraut
auf Goldgrund tritt der Abend lichtgesäumt.

Die alten Blätter fallen still und langsam
beim Abschied. Unsern Zeiten bleiben Reste.
Wir halten uns für einen Augenblick,
als stiegen sie so wieder an die Äste.

Gewißheit (Gedicht)


Gewißheit

Ich trage einen Raum in mir
in dem ich stehe, alles finde,
wo ich mich stetig heller binde
noch an das große Leben hier.

Die Tür ist hölzern und verwittert
die Klinke kunstvoll schmiedeeisern
die Schwelle zwischen zarten Reisern
nie unter einem Schritt erzittert.

Im Innern Wände silberweiß
ganz im Quadrat. Darüber liegt
die sanft gewölbte Decke, biegt
den weit zum Himmel offnen Kreis

in dem mal Stern, mal Wolke schwebt
so mit mir hohe Stille teilt
von deren Kraft hier nichts enteilt
mich den Moment aus allem hebt.

In einer Ecke schimmert Schnee.
Er rundet Kanten, kühlt das Brennen
in mir und scheint mich gut zu kennen:
fließt endlich tauend in die See –

denn in dem Winkel gleich daneben
da rauschen sommerlich die Wellen
und tragen salzig mich und stellen
mir neue Weichen, spülen, geben

den Herbst mit fordernd neuen Farben
mit Wind auf regenfeuchtem Feld
der klare Rausch mich ewig hält
der Spinne Netz heilt meine Narben

in dritter Ecke. In der vierten
birst Frühling aus den kahlen Ästen
und wendet grünend leicht zum Besten
was dunkel schien an ungenierten,

zu lauten Zweifeln, innerm Streit:
all dies wohnt stets zu gleicher Zeit
und niemals unerreichbar weit
tief unter der Zerrissenheit.

Dort leuchtet in des Zimmers Mitte
Aufrecht und warm auf altem Stamme
die flackerlose Kerzenflamme
sie ist mir Trost und ist mir Bitte.

Nicht immer kannte ich die Pforte.
Der Schlüssel ist, wie ich mir dachte
die gern verpönte und belachte
Selbstdisziplin. Sie führt zum Orte

an dem ich suchend oft verweile,
den ich geschaffen und gewonnen,
in dem ich alles hab vernommen
den ich mit EINEM Menschen teile.

Er sei dort schweigend eingeladen
zum Wandern, Bleiben, sich erfrischen,
um schwere Karten neu zu mischen
auf froheren Gedankenpfaden,

mag heilen, stumm Gespräche führen.
Wird er dort sein, ich werd’s nicht wissen.
Er wird mich auch wohl kaum vermissen –
und dennoch Bleibendes berühren.

(c) Patricia Koelle

Bücherherbst (Gedicht)

Bücherherbst

In Schwärmen sammeln droben sich die Stare
zum Aufbruch, und in dunklen Schwärmen fliegen
Gedichte und Geschichten durch die Jahre
wo im September sie noch schwerer wiegen.

Mit Wolken drängt mein Lesen in den Norden
wird mit dem Nebel Grenzen überborden.
Ich wünschte meiner Texte Echos hingen
so zart wie Raureif an den kleinen Dingen.

Mit Kranichen ziehn Fragen nach dem Süden
und suchen einen Aufwind sich aus Worten
damit sie nicht im Straßengrau ermüden –
da oben kann der Stadtlärm sie nicht orten.

Mein Denken schleicht still mit dem Frost nach Westen
es sucht dort alles, nur nicht alten festen
betretnen Boden unter seinem Tasten,
so auch kein lässig starr gewordnes Rasten,

denn meine Zeilen treiben mit den Blättern
und auf dem kühlen Morgen weit nach Osten.
Sie bilden sich dort neu auf allen Wettern
daß nicht in ihrem Bau die Sätze rosten.

Wenn Farben schwellen, Sturm und Vogelzug
ist meiner Sprache nichts von Gegenwart genug.
Kein Absatz ruht erfüllt auf dem Papier
und dennoch schreib ich immer wieder – hier.

© Patricia Koelle

Rückkehr vom Strand

In meinem Denken schwingt
ein heller Möwenflügel nach
und meine Wirklichkeit liegt brach
wo keine Meeresstimme klingt.

Selbst Stadtwind bringt
aus Norden Duft von Salz und Leben
um mir den Horizont zu heben
bevor er sinkt.

Obwohl Berliner Atem stinkt –
hoch über einem Winkel Spree
blitzt auf ein Blick von meiner See:
ein schneller Möwenflügel winkt.

(c) Patricia Koelle

Wunsch auf den Weg

Jakobsweg
Für Hansjörg

Mal fern der kantig scharfen Alltagshektik
Geduld und Kraft mit ausgefransten Rändern
des vollen Tags und volleren Kalendern,
auch aller wirklich schlauen Dialektik

wünsch ich dir nunmehr heitre, gute Stunden,
die ziehn an heilig seelentiefen Orten
ganz leis vorbei, weitab von allen Worten,
wo sich Momente unvergesslich runden.

Und mit dir wandern die Gedanken derer,
die liebend dir verbunden; es begleiten
dich lachend Freunde aus den alten Zeiten
wie auch Erinnerung an gute Lehrer.

Hier ausnahmsweise mögest du nicht eilen,
auf weisem Weg die vielen Schritte spüren
die dich zu dir und deinem Leben führen,
in Andacht wie zur Heilung still verweilen.

So finde Bänke, die zum Ruhen laden,
sieh Licht auf sonnenheißen Kirchenziegeln,
find Pfützen, die den ganzen Himmel spiegeln,
dann abends Muße mit den Kameraden.

Wenn mal am Horizont Gewitter flimmern
auf diesem schönen ganz besondren Gang
ein schwerer Kilometer wird dir lang
mag klar ein stärkend Segen für dich schimmern.

Und wird die Welt auch später wieder schnell,
so atme jetzt den Regenduft der Erde,
und bleibe häufig sinnend stehn und werde
allein in dir umfassend leicht und hell.

© Patricia Koelle

Wortwuseln

Alliterationsanfall II

© Patricia Koelle

Worte fließen wassergleich
weisen Wege, wähnen Wissen
wecken, wagen, wuchern reich
walten wendig und beflissen
wutentbrannt wohl auch im Leben
wohnen wirr auf Schreiberkissen.
Worte wählen, werben, weben.

Worte wuseln, Worte krabbeln
Worte wurmen, wieseln fort
Worte wärmen, wehren, babbeln
weihen wundersamen Ort.
Worte wirbeln Hirne wolkig
wimmern würgen wünschen dort
Worte sind womöglich ulkig.

Worte weilen windverweht
wenn sie winken aus den Wellen
wo es wild ums Wollen geht.
Worte wandern aus dem Hellen
wiegen was im Dunkeln wem
würfeln, ehe sie wahrhaft fällen
wechseln, ehe sie würzig stehn.

Worte werkeln wohlig Welten
welche wachsen wohl am Traum
weil sie welkend weiter gelten.
Worte warten wogend kaum
wenn sie willig wabernd säumen
den Dichterraum
wo Dichter räumen.

Aprilminiaturen (Frühlingsgedichte)

April 1

Wir drehen Sonnenrunden
seit Aberjahrmillionen
Ich merk inzwischen bloß:
es sind die kurzen Stunden
nur zwischen Anemonen
genau so wundergroß.

*****

April 2

Wache Erde
legt mir Sterne
auf den alten
Weg. Ich werde
wirklich gerne
aufgehalten.

*****

April 3

Man merkt es nicht im Stehn:
der Himmel ist zur Zeit
vom Boden aus gesehn
nur einen Stängel weit.

*****

Erschwinglich (Frühlingsgedicht)

Erschwinglich
© Patricia Koelle

Auf jungen grünen Flügeln
erhebt sich Frühling hell
erstürmt auf allen Hügeln
den Himmel wolkenschnell

sieh Neugier, Mut, Gelingen
neu schimmern aus den Tagen
die uns nun wieder tragen
auf jungen grünen Schwingen